Brief vom 09.01.1940


7. BRIEF VOM 09.01.1940 IM TEXTFORMAT

Adresse: An Frau Redlinghofer Agnes Krems a./d. Donau Spitalgasse Nr 3 Ostmark
Stempel: Berlin-Plötzensee 11.1.40 – 12 a
Absender: Abs: Rudolf Redlinghofer Strafanstalt Berlin-Plötzensee Königsdam 7

Berlin-Plötzensee, den 9. Jänner 1940

 

Liebes Weib!

 

Deinen lieben Brief nebst Bild von der Kleinen, am 2.1.1940 erhalten. Sie ist gut getroffen. Kann es auch besser ausnehmen mit meinen schwachen Augen, weil es größer ist. Bin seit 30.12.1939 hier in der Strafanstalt Berlin-Plötzensee, Königsdamm 7., Abtl. 7., Zelle 274. Dies ist meine Adresse! Ich habe bis jetzt nach und nach alle Deine Briefe erhalten. Sie haben mich alle sehr erfreut, besonders die Mitteilung über das kleine Ninale, dass sie so brav und folgsam ist. Und ferner, dass sie gut gedeiht. Welches letzten Endes auch ein Verdienst Deiner fürsorglichen Erziehung ist. Ich will Dir nicht schmeicheln, nein, aber das Eine muss ich an Dir loben: Du warst dem Kinde immer eine vorsorgliche Mutter und mir gegenüber ein braves Weib. Deswegen bin ich auch getrost und ohne Sorge wegen Euch beiden. Der allmächtige Gott wird Euch auch seinen Segen nicht versagen und euch darreichen, war ihr nötig habt! Lasse die Kleine auch viel unter anderen Kindern spielen und verweichliche sie nicht, damit Sie widerstandsfähig wird für ihr künftiges Leben. Das Gehen ist fürs Kind besser wie das Fahren. Sie entwickeln sich besser und der Appetit stellt sich mehr ein. Geht öfters auf den Kreuzberg hinauf. Das war immer mein Lieblingsweg, und da pumpen dabei die Lungen so richtig Luft. Das wird Euch beiden gut tun. Jetzt wirst Du Dich ja umstellen müssen, auf Alleinversorgung, denn ich kann für Euch nichts mehr schaffen. Weil ich ausgeschaltet bin vom Familienleben. Arbeit wird sich ja in dieser Zeit, wo man die Arbeitskräfte sucht, auch für Dich finden. Das Kind musst Du halt tagsüber wohin geben! Ich ersuche Dich, in Hinkunft mir mehr über Familienangelegenheiten zu schreiben. Es freut mich zu hören, dass Ihr gesund seid und das Nötige zum Leben habt. Bei mir ist auch alles so weit in Ordnung, nur Zahnweh habe ich des Nachts öfter. Ziehen lassen will ich ihn auch nicht mehr. Erstens brauche ich ihn sehr notwendig und dann steht es nicht mehr dafür. Für Deine Segenswünsche und Gebete danke ich sehr. Der Herr ist mit mir, er sei auch mit Euch! Dem Onkel Toni und der Tante danke ich aufs Herzlichste für die kleinen Aufmerksamkeiten, die sie meinen kleinen Liebling darbrachten. Halte Dich zu ihnen, der Onkel ist sehr gefällig, er kann Dir öfter mit einem guten wirtschaftlichen Rat aushelfen. Vielleicht lässt Du dem Kinde - wenn sie größer ist und Gefallen am Eislaufsport findet - denselben lernen. Damit sie nicht so ein Stubenhocker wird, wie wir Alten es sind. Sport ist gesund und ertüchtigt den Leib. Die Tante hat schon Recht, wenn sie sagt, sie ist der ganze Rudolf. Sie sieht mir auch faktisch ähnlich. Wenigstens hast Du Ersatz für mich! Geht mir fest Rodeln wenn Ihr Schnee habt. Wir haben viel Schnee hier in Plötzensee. Lasse die Kleine nur beim Glauben, ich sei mit der Lokomotive weit fortgefahren und komme erst in Jahren wieder. Kinder sind leichtgläubig und vergessen bald wieder. Natürlich darfst Du zu Ihr nicht immer von mir sprechen! Du würdest Dich auch ohne Kind in Deine jetzige Lage fügen müssen. Ich habe große Schaffenslust und muss hier so faulenzen. Zum Lesen habe ich zum Glück hier noch die Auswahl - alles was der Mensch zur Auferbauung seines Geistes braucht! Die Wäscheflickerei ist keine Existenz mehr für Dich, jetzt wo Du allein bist. Ruinierst Dir bloß das Augenlicht, machst die Maschine kaputt und verdienst nichts dabei. Jetzt wo überhaupt kein Zwirn zu haben ist. Alles Übrige im Leben musst Du nun in Zukunft mit Dir selbst beraten! Dein treuer Rudolf. Ferner ein herzliches Lebewohl und viele Grüße an alle meine Verwandten! Rekommandierte Briefe gehen hier auch nicht schneller. Spare mit dem Porto!