Brief vom 03.12.1939


3. BRIEF VOM 03.12.1939 IM TEXTFORMAT

Adresse: Frau Redlinghofer Agnes Krems a./d. Donau Spitalgasse 3. Ostmark
Stempel: Wien 1 09.12.39 18 f
Absender: Abs: R. Redlinghofer Berlin, NW.40, Alt-Moabit 12 a, Untersgf. BII

Berlin, am 3. Dezember 1939

 

Liebes Weib!

 

Einige Male seit meiner Abreise von Wien, schrieb ich Dir nun schon, ohne auf meine Briefe so richtig eine Rückantwort zu erhalten. Es ist mir vom Herrn Vorstand erlaubt zu schreiben soviel ich will. Von hier schrieb ich Dir zweimal und einmal meinem Bruder eine Karte. Hast Du denn die Briefe nicht erhalten? Gestern – Samstag - erhielt ich eine zweite Verfügung vom Kriegsgericht zugestellt. Darin wurde mir bekanntgegeben, dass mein ursprünglich angesetzter Verhandlungstermin von Donnerstag, den 14. Dezember, auf Samstag, den 9. Dezember 1939 um 11 Uhr, vorverlegt wurde. Also habe ich am 9. und nicht am 14. die Verhandlung. Weil ich Dir eben von meiner Verhandlung schreibe, so fällt mir gerade ein: ich las vor einigen Tagen ein Buch aus der Gefängnisbibliothek in welchem zwei markante Sprüche von prominenten Weltpersönlichkeiten zu lesen waren, welche treffend meine Glaubens- und Gewissensangelegenheit bestätigen. Ich lasse sie interessehalber dem Wortlaut nach folgen: „Der Mensch hat ein Gewissen. Es mahnt ihn, er soll nichts fürchten und soll nichts versäumen, was das Herz von ihm fordert“ - Arnim. Und ferner: „Gegen das Gewissen zu handeln ist unsicher und gefährlich“ - Luther.

Luther war besonders ein Mann großen Formats, welcher sich redlich als Knecht der Vorsehung bemühte, die verlorengegangenen Grundwahrheiten der Botschaft Gottes, sein Reich betreffend, wiederzugeben. Doch das Resultat war gleich Null. Satan verblendete wiederum die Menschen. Damit das Wort des Herrn erfüllt werde welches heißt: „Das Herz dieses Volkes ist verstockt, mit ihren Ohren hören sie schwer, und mit ihren Augen sehen sie nicht und nehmen nicht wahr, dass ich sie heile.“ Ich aber, da ich meine früheren Wege überdacht und auf Grund der Gnade Gottes erkannt habe, dass sie nicht richtig sind, bin umgekehrt mit dem Bestreben, Rechtes zu tun, Gottes Vorschriften zu beobachten, wie Christus tat und Luther auch versucht hatte und wurde auch angeklagt. Du siehst liebes Weib, dass es nicht an den Wollenden, sondern an den begnadigenden Gott liegt, weil wir Menschen schwach, unvollkommen und Sünder sind und aufgrund solcher Erkenntnis nie die Fähigkeit haben, über die Fehler anderer ein rechtes Urteil zu fällen. Spricht doch die Schrift durch Paulus -den großen Apostel der Nationen: „Wer bist du o Mensch, der du den Knecht eines anderen richtest, dabei aber dasselbe tust? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn“ (Anm.: Rö. 14:4). Also zur eigentlichen Sache, meine liebe Mutter meiner lieben Nina. Schreibe mir mal einen ordentlichen Brief mit vielen Neuigkeiten aus meiner Heimatstadt. Wie es euch geht, und was du werkst. Ich meinerseits werde es nicht lassen an einer Nachricht, soweit es an mir liegt. Gott segne Euch! Grüße mir alle Verwandten aufs Herzlichste!

 

Viele Küsse Dir und tausend Bussi der Regina!

 

Euer Vater, Rudolf Redlinghofer

 

 

Untersuchungsgefängnis

Berlin, NW40, Alt-Moabit 12a,

BII. Z.225