Brief vom 10.12.1939


4. BRIEF VOM 10.12.1939 IM TEXTFORMAT

Adresse: An Frau Redlinghofer Agnes in Krems a./d. Donau Spitalgasse 3 Ostmark
Stempel: 10.12.39
Absender: Abs: R. Redlinghofer Berlin NW40, Alt-Moabit 12 a

Sonntag, den 10.12.1939

 

Liebste Agnes!

 

Meine Kriegsgerichtsverhandlung, welche auf Donnerstag, den 14.12. anberaumt war, wurde vorverlegt und fand gestern, Samstag den 9.12. um 11 Uhr vormittags statt. Liebes Weib! Erschrick nicht und fasse Dich! Ich wurde zum Tode verurteilt. Es war ja voraussichtlich, dass es so kommen wird, denn ich fühlte es ja schon während meiner ganzen Haft. Wann das Todesurteil vollstreckt wird und auf welche Art, das wurde mir bei der Verhandlung nicht gesagt. Jedenfalls werde ich dies noch rechtzeitig genug erfahren, um es Dir mitzuteilen. Und sollte ich keine Gelegenheit mehr haben, Dir den weiteren Verlauf der Dinge mitzuteilen, so werden es Dir die Behörden wissen lassen. Auch habe ich hier noch eine Menge Kleider und viele andere Kleinigkeiten, in einem Karton auf der Kammer. Mein Gebiss lege ich Dir auch bei, welches für mich dann überflüssig wird. Du aber bekommst vom Zahntechniker Halbritter immerhin ein paar Mark, welche Du notwendig brauchen kannst. Meine sämtlichen Kleider, Wäsche und Schuhe etc. kannst Du verkaufen und den Erlös fürs Kind und Dich verwenden. Diese Sachen werden auf Veranlassung der Gerichtsbehörden Dir geschickt werden. Die Wohnung behalte Dir, und was drinnen ist, gehört ja sowieso alles Dir weil Du es gekauft hast. Sollte es Dir in Krems nicht mehr zusagen oder Dir etwas wiederfahren, dann gebe das Kind zur Großmutter. Zahle ihr dafür und Du, suche Dir ständige Arbeit. Doch tue wie Du glaubst und wie die Situation es erfordert! Wenn die Leute fragen, ich bin an einer Krankheit gestorben! Was Du auf die Frage des Kindes einmal sagen wirst - über den Verbleib des Vaters - das überlasse ich Deiner Vernunft. Jedoch nichts über mein tatsächliches Schicksal. Sie ist zu jung! Alle meine Verwandten aber benachrichtige darüber. Und vergebt mir, wenn Ihr glaubt, ich habe nicht richtig gehandelt. Aber ich glaube, dass Ihr alle verstehen werdet, dass ich nicht als Missetäter sterbe, sondern für den echten Glauben und eine gerechte Sache in der Nachfolge meines Meisters Jesus Christus. Der Allmächtige sei mir armen Sünder gnädig und nehme meinen Geist auf in Frieden. In Christo, Amen! 

Darüber spricht Jesus: „Weil ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt. Jedoch gedenket der Worte, ein Knecht ist nicht über seinem Meister. Haben sie denn Hausvater Belzebub genannt, wie viel mehr seine Hausgenossen.“ Zwei alte Fotos und die neuen - von der süßen kleinen Nina - kommen auch mit den Sachen retour. Den Sonntagsausflug vor meiner Verhaftung am Göttweiger Berg habe ich noch lebhaft in Erinnerung. In wehmutsvoller Freude denke ich an ihn.  Ferner an den Freitag Abend, als ich mich der Gendarmerie stellte und ich, Du und die Cousine Abschied voneinander nahmen. Da saß der kleine Liebling bei meinem Nachtkasterl am Boden und lutschte eifrig an dem Kaffeeschnuller. Sie sah mir so sonderbar traurig nach, als wenn Sie gewusst hätte, um was es beim Vater geht. So oft mir dieses Bild im Geiste vorüberzieht, entlockt es mir mache Träne. Ich empfehle Dich und die Nina der Obhut des Herrn, und so er will werden wir uns einst Wiedersehen. Er wird Euch auch Segnen! Meinen Leichnam lasse, wo er liegt, den es ist völlig gleichgültig, in welcher Erde der Mensch gebetet liegt! Dies ist mein vierter Brief den ich Dir schreibe. Warum antwortest Du mir mit keiner Silbe? Seid Ihr etwa krank oder ist sonst etwas nicht in Ordnung? Nochmals ein herzliches Lebewohl an alle Verwandten. Viele Bussi an Ninale! Es grüßt und küsst Euch alle recht herzlich viele tausendmal

 

Euer Rudolf Redlinghofer

 

 

Berlin, NW40, Alt-Moabit-12a,

Untersuchungsgefängnis. BI. Zelle 219